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EX-IN Genesungsbegleitung erklärt

Für Menschen mit der Erfahrung einer psychischen Krise sowie erfolgter Genesung ergeben sich Fragen für die Zukunft und wie sie sich ein selbstständiges Leben aufbauen können. EX-IN-Genesungsbegleitung ist eine Möglichkeit aus dem Versorgungssystem mit den Unterstützungsleistungen (Hartz IV, Werkstatt, etc.) heraus zu kommen.

EX-IN Genesungsbegleitung erklärt
Was ist EX-IN Genesungsbegleitung genau? Was machen Menschen in diesem Beruf?

Doch was ist EX-IN Genesungsbegleitung genau? Was machen Menschen in diesem Beruf? Und was macht sie so besonders? All dies soll dieser Artikel kurz beleuchten.

Inhalt:

Was sind Genesungsbegleiter*innen?
Was bedeutet EX-IN?
Wie läuft eine solche Schulung ab?
Was machen Genesungsbegleiter*innen?
Was macht das Besondere der Genesungsbegleitung aus?

Was sind EX-IN Genesungsbegleiter*innen? 

Genesungsbegleiter und Genesungsbegleiterinnen sind eine relativ neue Berufsgruppe. Genesungsbegleiter sind Menschen, die selbst die Erfahrung einer psychischen Krise gemacht haben. Sie haben gelernt mit ihrer Erkrankung umzugehen und begleiten – nach einer einjährigen Schulung – andere Menschen auf ihrem Weg der Genesung.

Immer wieder zeigt sich dabei, dass nicht die selbe Diagnose wie bei den aktuellen Patienten das verbindende Element ist, sondern die Erfahrung, aus dem einem Leben heraus gerissen worden zu sein, das man sich anders vorgestellt oder gar geplant hatte.

Was bedeutet EX-IN?

EX-IN steht für „Experienced Envolvement“.

EX-IN ist die Abkürzung von „Experienced Envolvement“. Das ist englisch und heißt so viel wie „Einbeziehung Erfahrener“.

Das ganze Konzept geht auf eine Idee von Dorothea Buck zurück. Sie hatte die Psychiatrie in der NS-Zeit erlebt und wurde damals auf Grund ihrer Erkrankung zwangssterilisiert. Sie hat in den darauffolgenden Jahren die Psychiatrie als Verwahranstalt erlebt und sich früh gewünscht, dass das große Erfahrungswissen von ehemaligen Patient*innen genutzt würde.

Im Jahr 2005 taten sich nach einer großen Psychiatrie-Konferenz mehrere Menschen zusammen, um diese Idee von Dorothea Buck umzusetzen. Sie entwickelten ein Konzept, wie Psychiatrie-Erfahrene zu Begleiter*innen weitergebildet werden könnten. Dabei entstand das Curriculum, nach dem heute EX-IN-Genesungsbegleiter*innen geschult werden.

Externer Link: Dachverband EX-IN Deutschland e.V.

Wie läuft eine solche Schulung ab?

Voraussetzung für diese Schulung ist die Erfahrung einer psychischen Krise und/oder eines Klinikaufenthaltes bzw. psychotherapeutische Behandlung. Hat man sich dazu entschlossen diesen Kurs zu absolvieren, kann man sich an einen der Schulungsanbieter wenden, die es in nahezu allen Bundesländern gibt. Diese gibt es auch in anderen europäischen Ländern wie in Österreich und der Schweiz.

Der Kurs kostet im Schnitt 2200,- € und man sollte sich im Vorwege darüber informieren, wie man das finanzieren kann. In seltenen Fällen übernimmt die Agentur für Arbeit die Finanzierung. Wenn nicht gibt es auch Möglichkeiten wie persönliches Budget, Stiftungen, oder die Eingliederungshilfe. Mehr Informationen dazu finden sich im Internet bei den jeweiligen Schulungsanbietern.

Da ich keine Unterstützung fand, finanzierte ich den Kurs selbst aus einer Erbschaft, die ich kurz zuvor erhalten hatte.

Die Schulungsteilnehmenden treffen sich und erarbeiten sich in gemeinsamen, angeleiteten Workshops Themen wie:

Je nach Schulungszentrum treffen sich die Teilnehmenden alle 14 Tage oder nur alle 4 Wochen.

Das Konzept sieht vor, dass die Teilnehmenden voneinander lernen. Zu jedem der bis zu 22 Module gibt es durch Trainer*innen eine kurze Einführung. Den Rest erarbeiten sich die Teilnehmenden selbst. Das Trainerteam setzt sich immer aus einer krisenerfahrenen Person und einer Person aus dem Bereich der professionell Tätigen zusammen.

Während der Schulung sollen zwei Praktika absolviert werden. Im ersten Praktikum geht es darum zu prüfen, ob man sich in der Rolle wohlfühlt. Im zweiten Praktikum erhält man die Aufgabe ein eigenes Angebot (z.B. eine Gruppe) zu gestalten.

Mein zweites Praktikum absolvierte ich bei einem Anbieter der ambulanten psychiatrischen Versorgung in Hamburg. In diesem Praktikum hatte ich einen Kollegen als Mentor. Meine eigenen Projekte waren eine Genussgruppe und die Schaffung eines Trialoges zum Thema Depression in Hamburg. Auch heute noch bin ich darauf sehr stolz.  

Am Ende der Schulung gibt es ein Zertifikat. Eine Prüfung wird nicht abgenommen.

Die EX-IN-Schulung ist zwar nicht sehr zeitintensiv, dafür haben die Teilnehmenden Gelegenheit, sich hier nochmals intensiv mit ihrer Genesungs-Geschichte und der der anderen Teilnehmenden auseinander zu setzen. Das ist nicht immer leicht.

Für mich ging der Kurs hart an meine psychischen Belastungsgrenzen, so dass ich nicht nur einmal kurz davor stand meine Teilnahme abzubrechen. Letztendlich hatte ich am Ende jedoch weniger Fehlzeiten als gedacht.

Was machen Genesungsbegleiter*innen?

Genesungsbegleiter*innen sind vielfältig nach ihren Vorerfahrungen einsetzbar. Einsatzbereiche können sein:

  • kreative Gruppenangebote
  • Recovery-Gruppen
  • Einzelgespräche aber auch
  • Gesprächsangebote im Tandem mit einer professionellen Kraft
    und viele andere mehr.

Meine Aufgabenbereiche im Praktikum umfassten – neben dem Führen von Einzelgesprächen – eine Photogruppe und die Teilnahme als Psychiatrie-Erfahrener an Aufnahmegesprächen.

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Was macht das Besondere der Genesungsbegleitung aus?

Genesungsbegleiter*innen sind Brückenbauer. Sie sind in der Lage, zwischen professionell Tätigen und den Betroffenen Brücken zu bauen, über die hinweg sie sich begegnen können. Durch ihre eigene Krisenerfahrung und Genesung sind Genesungsbegleiter*innen auch Vorbild und Hoffnungsträger und zeigen auf, dass es Wege gibt, mit der Erkrankung leben zu können.

Genesungsbegleiter*innen sind durch ihre Erfahrungen in der Lage den Menschen Wege aufzuzeigen, wie sie wieder an ihre Ressourcen und Möglichkeiten herankommen (Recovery). Vor allem aber ist das Besondere an Genesungsbegleiter*innen ihre jeweilige Krisen oder/und Psychiatrieerfahrung. Hiermit können Sie in Teams die Patientenseite vertreten und einbringen.

Ich durfte selbst erleben, wie Menschen „auftauen“, wenn andere für Sie da sind, die das selbe oder zumindest etwas Ähnliches durchgemacht haben. In einem Aufnahmegespräch saß uns – Psychologin, Genesungsbegleiter und ich als Praktikant – ein Mann gegenüber, der völlig verschüchtert wirkte. Er hat sehr wenig geredet. Irgendwann fragte die Psychologin, wie es denn mit den alltäglichen Verrichtungen ginge. Putzen bekäme er hin, sagte der Mann. Das Essen wäre etwas eintönig und bestünde fast nur aus Haferflocken mit Milch. Mein Kollege und ich schauten uns an und sagten gleichzeitig: Das kennen wir. Kurze Zeit später machten wir eine kleine Pause. Der junge Mann ging etwas spazieren und als er zurück kam, war er wie ausgewechselt. Er öffnete sich und sprach offen über seine Schwierigkeiten und eingeschränkten Möglichkeiten. Noch heute schwärmt dieser Mann davon wie gut es ihm getan hat, dass da Menschen waren, die nachvollziehen konnten was er erlebt hat.

Abschießend möchte ich mit einem Zitat von Professor Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité enden:

Genesungsbegleiter bringen eine andere Perspektive auf die Station mit.

Prof. Andreas Heinz

Mein Fazit:

Trotz aller Anstrengungen hat sich die Schulung zum EX-IN Genesungsbegleiter für mich gelohnt. Nachdem ich 2010 meine Arbeit durch Mobbing verloren hatte, ging ich sehr offen mit meiner Erkrankung Depression um. Ich musste allerdings sehr schnell feststellen, dass für mich in der freien Wirtschaft kein Platz mehr ist. Ich überlegte daher wie ich meine Erfahrungen nutzen könnte um andere Menschen zu begleiten. Ich kann es als Glück bezeichnen, dass ich im Winter 2011/12 nochmals in einer Tagesklinik war und mir ein Sozialarbeiter den Hinweis auf die EX-IN-Schulung gegeben hat. 2015 begann ich die Schulung, die ich ein Jahr später mit dem Zertifikat in der Hand beendet habe.

Genesungsbegleitung bietet für Menschen mit einer psychischen Krisenerfahrung und oder Klinikaufenthalt die Möglichkeit sich ein selbstständiges Leben aufzubauen. Sie kommen im günstigsten Fall aus dem Bereich der Unterstützungsleistungen heraus und können einer Sinn gebenden Tätigkeit nachgehen, die die Erkrankung zur Voraussetzung hat und nicht als Makel ansieht.

Evidenzbasierte Studien zum Thema:

Studiepos. Effekte durch den Einsatz von Genesungsbegleiter*innen
Lloyd-Evans 2014Recovery
 vermehrte Hoffnung
 Gefühl für verbesserte Lebensqualität
Fuhr 2014vermehrte Hoffnung
 Gefühl für verbesserte Lebensqualität
Pitt 2013keine
MahlkeSelbstwirksamkeitserleben
Kelly et al.Gesundheitsbezogene Einstellung
 bessere Inanspruchnahme von hausärztlicher Versorgung
 Verbesserung der Arzt- / Patientenbeziehung
Chien und ChanPsychosoziale Funktion verbessert
 verminderte Symptomschwere
 kürzere stationäre Behandlungsdauer
Chien und Thompsongeringeres Rückfallrisiko
 kürzere stationäre Behandlungsdauer
Morriss et al.Psychosoziale Funktionen werden gestärkt
 geringeres Rückfallrisiko
 kürzere stationäre Behandlungsdauer
Tabelle: Studien zum Thema Genesungsbegleitung

Literatur zum Thema:
Susanne Ackers, Klaus Nuißl: EX-IN Genesungsbegleitung, Psychiatrieverlag, 2021
Jörg Utschakowski, Gyöngyvér Sielaff, et al.: Experten Aus Erfahrung, Psychiatrieverlag, 2015

Quellen:
eigene EX-IN-Schulung zum Genesungsbegleiter

EX-IN Deutschland e.V.
Interview mit Prof. Andreas Heinz – Ärztezeitung 12. Mai 2017 „Auf Augenhöhe mit den Professionellen“

Titelbild: geralt/Pixabay


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