[flexy_breadcrumb]

Digitale Achtsamkeit und Resilienz als Zukunftskompetenzen

von Sonja Kirchvogel

Was bedeutet digitaler Stress und wie kann uns digitale Achtsamkeit unterstützen, für unsere VUKA*-Welt gerüstet zu sein? Dieser Artikel geht diesen Fragen auf den Grund und gibt praktische Impulse, die uns helfen, unsere Reise in die digitale Achtsamkeit zu starten.

Inhalt:
Warum sollten wir über digitale Achtsamkeit sprechen?
Was genau ist digitaler Stress eigentlich?
Was bedeutet digitale Achtsamkeit und wobei hilft sie uns?
Wie kann ich digitale Achtsamkeit im Alltag kultivieren?

Warum sollten wir über digitale Achtsamkeit sprechen?

Digitale Resilienz ist unerlässlich, um gesund und selbstbestimmt die Vorzüge unserer technischen Welt zu nutzen. Digitalisierung ist Fluch und Segen zugleich: Unsere vernetzte Welt bietet viele Vorteile und Möglichkeiten, so können wir mit Menschen auf der ganzen Welt in Kontakt treten, Informationen stehen uns rund um die Uhr zur Verfügung, Homeoffice, mobiles Arbeiten und Arbeitsplatzflexibilität sind seit der Corona Pandemie nicht mehr wegzudenken.

Gleichzeitig bergen diese schier unendlichen Möglichkeiten auch Risiken und stellen uns vor große Herausforderungen: Technologische Entwicklungen steigen rasant und stellen uns vor einen enormen Anpassungsdruck, die Menge an Informationen und Kommunikationskanälen führt oftmals zu Überforderung, unsere ständige Erreichbarkeit und ein „Always-On“, sowie verschwimmende Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben führen nachweislich zu körperlicher und psychischer Belastung sowie Veränderungen im sozialen Miteinander.

Untersuchungen der Initiative D1 e.V. (2023/24) zeigen, dass mehr als ein Drittel der Bevölkerung noch nicht resilient gegenüber digitalen Einflussfaktoren sind und Studien zeigen, dass jeder fünfte Arbeitnehmer starken digitalen Stress empfindet (Gimpel, et.al 2019). Häufig ist uns gar nicht bewusst, dass wir von digitalem Stress betroffen sind und welche Einflüsse uns eigentlich belasten.

Was genau ist digitaler Stress eigentlich?

Digitaler Stress oder „Technostress“ ist kein neues Phänomen, hat aber seit der Corona Pandemie enormen Auftrieb bekommen. Digitaler Stress entsteht ähnlich wie andere Formen von Stress und lässt sich vereinfacht als Diskrepanz zwischen den Anforderungen, denen wir begegnen und unseren eigenen zur Verfügung stehenden Ressourcen erklären. Wichtig sind hierbei unsere individuelle Wahrnehmung und Bewertung der Anforderung.

Hier ein konkretes Beispiel: Während technische Probleme während eines Meetings eine Person in enormen digitalen Stress versetzt, weil sie ihre eigene Kompetenz mit diesen umzugehen, als nicht ausreichend einstuft, ist eine solche Situation für eine andere Person hingegen völlig in Ordnung, weil sie z.B. über technisches Know-How verfügt, um damit umzugehen.

Hinzu kommen sogenannte digitale Belastungsfaktoren, die digitalen Stress begünstigen. Dazu gehören unter anderem die zunehmende Komplexität moderner Technologien, damit einhergehende Verunsicherung im Umgang mit diesen, Überladung und kommunikative Überlastung, sowie eine zunehmende Entgrenzung zwischen Beruf und Privatleben.
Digitale Achtsamkeit bietet uns hier enormes Potential, einen bewussteren Umgang mit unseren modernen Medien und Technologien zu kultivieren und unsere digitale Resilienz zu stärken.

Was bedeutet digitale Achtsamkeit und wobei hilft sie uns?

Digitale Achtsamkeit hilft uns, bewusst und reflektiert mit neuen Medien und Technologien umzugehen und in unserer VUKA*-Welt gut mit uns und anderen Menschen umzugehen. Digitale Achtsamkeit stärkt uns insbesondere in fünf Bereichen: 

Selbstreflexion und Bewusstheit:

Digitale Achtsamkeit fördert unsere Selbstreflexion und hilft uns dabei, uns nicht in der ständigen Flut von Benachrichtigungen und Informationen zu verlieren. Meist greifen wir aus Gewohnheit oder Langeweile zu unseren Geräten, was zu einer ständigen Überstimulation führen kann. Achtsamkeit schult uns, innezuhalten und zu hinterfragen, warum wir gerade unser Smartphone oder unseren Laptop nutzen wollen. Dies reduziert die automatische Nutzung und gibt uns die Kontrolle über unser digitales Verhalten zurück. Wenn wir regelmäßig überprüfen und uns selbst hinterfragen, wie, in welchem Maße und wofür wir bestimmte Technologien nutzen und welche Auswirkungen unser Nutzerverhalten auf das eigene Wohlbefinden hat, gehen wir den ersten wichtigen Schritt in Richtung digitale Resilienz.

Fokus und Konzentration:

Studien zeigen, dass wir unsere Arbeit alle 4-6 Minuten durch digitale Systeme unterbrechen lassen, dies passiert meist unterbewusst, hat aber enorme Auswirkungen auf unsere Produktivität und birgt großes Erschöpfungspotential (Starker et.al 2022). Achtsamkeit schult unsere Aufmerksamkeit und stärkt unsere Fähigkeit, uns im Dschungel digitaler Ablenkungen nicht zu verlieren. Dies können wir auch aktiv steuern, indem wir z.B. Push Nachrichten ausschalten oder uns bewusst Zeiten nehmen, in welchen wir offline sind, um fokussiert und kreativ zu arbeiten.

Stressbewältigung:

Die Folgen von digitalem Stress sind vergleichbar mit denen „normalen Stresses“. Stress beeinflusst unsere körperliche und psychische Gesundheit und zeigt sich beispielsweise in Reaktionen wie Schlafstörungen, Nacken- und Rückenschmerzen, Konzentrations-schwierigkeiten oder emotionaler Erschöpfung und kann langfristig zu ernsthaften Erkrankungen führen. 

Achtsamkeit schärft unser Bewusstsein für unsere körperlichen und mentalen Reaktionen auf Stress und hilft uns, rechtzeitig Stresssymptome wie Anspannung, Nervosität, Gereiztheit oder Unruhe zu erkennen und frühzeitig zu reagieren.

Regeneration und Erholung:

Achtsamkeit ermutigt uns dazu, bewusste Pausen einzuplanen, in denen wir offline sind, uns auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren und Raum für Erholung und Selbstfürsorge zu schaffen. Dabei muss es nicht immer tagelanger „Digital Detox“, also völlige Abstinenz von digitalen Medien sein. Wir können uns auch im Alltag bewusst feste Zeiten setzen, in denen wir uns eine digitale Auszeit nehmen oder Räume definieren, in welchen Technologie Tabu ist: so können wir ein Smartphone-freies Schlafzimmer, ein Abendessen ohne Laptop auf dem Tisch oder eine achtsame Kaffeepause ohne Ablenkungen schaffen.

Soziale Beziehungen:

Soziale Unterstützung ist ein wichtiger Faktor für Resilienz, und eine achtsame online Präsenz kann uns dabei helfen, stärkende und positive Beziehungen zu pflegen und negative Einflüsse im online Raum zu minimieren. Auch die zuvor genannten Technologie-freien Zonen und Zeiten, können sich positiv auf unser Miteinander in Familie, Freundeskreisen und Kollegium auswirken. Studien zeigen, dass die bloße Anwesenheit unseres Smartphones auf dem Tisch beim Essen mit anderen Menschen dazu führt, dass wir diese gemeinsame Zeit weniger genießen (University of British Columbia, 2018).

Wie kann ich digitale Achtsamkeit im Alltag kultivieren?

Wir alle können digitale Achtsamkeit lernen! Genauso wie unsere Resilienz, lässt sich auch unsere digitale Achtsamkeit trainieren. Es gibt viele Möglichkeiten, digitale Achtsamkeit zu kultivieren und verschiedene Übungen und Werkzeuge, um Achtsamkeit zu leben. Wichtig ist, dass du für dich herausfindest, was sich für dich gut anfühlt und was für dich in deinem Alltag funktioniert.

Ich habe vor einigen Jahren von heute auf morgen meine privaten Social Media Kanäle gelöscht, weil ich gemerkt habe, dass es mir nicht gut tut und es mich immer wieder geärgert hat, wie viel Zeit mir das Scrollen durch Instagram und Co raubt. Für mich war dieser drastische Schritt unheimlich befreiend, für dich kann es schon ausreichen, gezielter und bewusster deine sozialen Netzwerke zu pflegen.

Nachfolgend drei Impulse, die du ausprobieren kannst:

  • Digitaler Selbst-Check:
    Zu Beginn unserer Reise in die digitale Achtsamkeit ist es wichtig, eine Art Digitalen-Selbst-Check zu machen, um unsere digitalen Verhaltens- und Konsummuster zu verstehen und uns darüber bewusst zu werden:
    • Wie bin ich eigentlich in unserer digitalen Welt unterwegs?
    • Wie benutzte ich z.B. mein Smartphone?
    • Wie viel Zeit verbringe ich mit dem Lesen und Beantworten meiner Emails? Wie fühle ich mich wirklich beim Scrollen durch Soziale Medien?
      Hierfür bieten uns Einstellungen in unseren Smartphones, Outlook und Sozialen Medien viele Möglichkeiten, um z.B. unsere tägliche Nutzungsdauer festzulegen.

  • Deaktiviere Push Nachrichten:
    Deaktiviere die Push Nachrichten von deinen Apps und entscheide ganz bewusst selbst, eine App zu öffnen, um zu schauen, ob du eine Nachricht bekommen hast, ob es einen neuen Beitrag gibt usw. Deine Bildschirmzeit wird sich so ganz automatisch drastisch reduzieren, deine unterschwellige Sorge etwas zu verpassen, wird mit der Zeit nachlassen und du wirst auf lange Sicht deutlich entspannter sein.

  • Digitale Grenzen ziehen:
    Schaffe dir Räume und Zeit, in denen du nicht erreichbar bist. Neben der oben bereits erwähnten Smartphone- freien Zone zuhause kannst du z.B. in deiner Mittagspause einmal ohne dein Smartphone eine Runde spazieren gehen und bewusst den Blick auf deine Mitmenschen und ins Grüne schweifen lassen.

Aller Anfang ist schwer – Veränderungen brauchen ihre Zeit

Vieles mag sich anfangs ungewohnt und vielleicht auch unangenehm anfühlen. Übe dich in Selbstmitgefühl und starte mit kleinen Schritten Richtung gesunde Veränderung. Halte durch, es dauert durchschnittlich 28 Tage, bis sich eine neue Verhaltensweise etabliert und sich „normal“ anfühlt. Eine kleine Sache mit sehr viel Wirkung kannst du jetzt sofort starten: Jedes Mal, wenn du dein Smartphone zur Hand nimmst, gönne dir einen kurzen Moment, um innezuhalten, bewusst ein und lange auszuatmen und dann zu entscheiden:

Möchte ich das jetzt wirklich? Oder ist dies ein unbewusster Griff ohne wirkliche Intention?

Wenn Ersteres der Fall ist, wunderbar. Wenn der Griff eher gewohnheitsmäßig und ohne eigentliches Ziel erfolgt, Smartphone weglegen. Es geht nicht darum, das Smartphone möglichst oft wegzulegen, es geht darum, diese Entscheidung bewusst zu treffen. In dem kurzen Raum zwischen Ausatmen und Smartphone entsperren liegen deine digitale Achtsamkeit und damit deine Selbstwirksamkeit – nutze sie.

Fazit: Digitale Achtsamkeit als kraftvolle Zukunftskompetenz

Durch den bewussten Umgang mit digitalen Technologien und Medien können wir besser auf die Herausforderungen des digitalen Zeitalters reagieren und unsere psychische Gesundheit langfristig erhalten. Digitale Achtsamkeit lehrt uns, bewusst und souverän unsere Möglichkeiten für uns zu nutzen und resilient mit den Herausforderungen unserer digitalisierten Welt umzugehen.

Sie unterstützt dabei, ungesunde Gewohnheiten zu erkennen, unsere Aufmerksamkeit zu schulen und gut mit uns und anderen im digitalen und analogen Raum umzugehen. Digital aktiv ohne achtsam zu sein wird langfristig weder gesund noch erfolgreich funktionieren. Digitale Achtsamkeit eine Zukunftskompetenz, die wir lieber heute als morgen erlernen dürfen.

* VUKA oder VUCA (engl.) ist ein Akronym und wird im deutschsprachigen Raum als Beschreibung für unsere moderne Welt und die herausfordernden Bedingungen für Menschen und Unternehmen verwendet. Vuka steht für volatil, unsicher, komplex und Ambiguität/ Mehrdeutigkeit. Unter https://www.vuca.de findest du weitere Infos und Erläuterungen.

Quellen:
Gimpel, H.; Lanzl, J.; Manner-Romberg, T.; Nüske, N.(2018): Digitaler Stress in Deutschland. Eine Befragung von Erwerbstätigen zu Belastung und Beanspruchung durch Arbeiten mit digitalen Technologien. Hg. v. Hans-Böckler-Stiftung, https://www.fim-rc.de/wp-content/uploads/2020/03/Gimpel_etal_2019_Gesund_digital_arbeiten-Eine_Studie_zu_digitalem_Stress_in_Deutschland.pdf
Initiative D1 e.V. (2023/24): D21-Digital-Index 2023/24: Jährliches Lagebild zur Digitalen Gesellschaft, https://initiatived21.de/themen/resilienz-im-digitalen-wandel.
Dwyer, R. J.; Kushlev, K.; Dunn, E. (2018): Smartphone use undermines enjoyment of face-to-face social interactions. University of British Columbia, https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0022103117301737.
Starker, V.; Roos, K.; Bracht, E. M.; Graudenz, D. (2022): Kosten von Arbeitsunterbrechungen für deutsche Unternehmen. Auswirkungen von Fragmentierung auf Produktivität und Stressentwicklung. https://nextworkinnovation.com/studie-arbeitsunterbrechungen

Bildquellen: https://www.freepik.com

Schreibe einen Kommentar