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Wo das Alte sich neu ordnet und das Neue leise beginnt

von Daniela Hadem-Kälber

Das Jahresende ist mehr als ein Kalenderwechsel. Es ist eine natürliche Schwellenzeit, die uns einlädt, innezuhalten, Erlebtes zu integrieren und behutsam den Blick nach vorn zu richten. Aus wissenschaftlicher wie auch spiritueller Perspektive zeigt sich: Rückzug, Reflexion und Neuorientierung gehören zu dieser Zeit ganz wesentlich dazu. In diesem Beitrag erhältst du Impulse zur Rückschau, zum Loslassen und zum vorsichtigen Vorausblick in das kommende Jahr.

Was zeigt sich, wenn wir am Ende des Jahres zurückblicken?

Am Ende des Jahres schaue ich gern zurück auf die großen und kleinen Momente, die die vergangenen Monate besonders gemacht haben. Da tauchen angenehme Erinnerungen auf – wie der große Sommerurlaub mit der Familie –, aber auch herausfordernde Erfahrungen, etwa eine schwere Erkrankung einer Angehörigen, verbunden mit großer Verlustangst.

Ganz gleich, welche Gefühle sich dabei zeigen: Es lohnt sich, noch einmal Revue passieren zu lassen, was war. Nicht, um in Grübeleien zu verfallen oder das Vergangene zu bewerten. Sondern um die eigene Lebendigkeit zu spüren. Um einen Moment innezuhalten und zu würdigen, was dieses Jahr gebracht hat.

Denn unser Alltag lädt uns oft zum Gegenteil ein: immer weiter, immer mehr, immer neu. Übergänge werden verkürzt oder gar nicht wahrgenommen, Pausen übersprungen, Abschlüsse selten bewusst gestaltet. Das Jahresende bietet ganz unabhängig von religiösen oder kulturellen Prägungen einen natürlichen Gegenpol.

Warum ist das Jahresende aus biologischer und psychologischer Sicht ein Übergang?

Aus wissenschaftlicher Sicht ist gut belegt, dass unser Organismus auf Rhythmen und Zyklen angewiesen ist (vgl. Roenneberg, 2012). Der Wechsel von Hell und Dunkel, Aktivität und Ruhe, Anspannung und Regeneration ist tief in unserem Nervensystem verankert.

Viele Menschen beginnen zum Jahresende ganz intuitiv, Bilanz zu ziehen.

In den Wintermonaten:

  • nimmt das Tageslicht ab,
  • verlangsamt sich bei vielen Menschen der Stoffwechsel,
  • steigt das Bedürfnis nach Rückzug und Schlaf und
  • reagiert unser Nervensystem sensibler auf Reizüberflutung.

Psychologisch gesehen befinden wir uns häufiger im parasympathischen Modus. Das ist der Teil des Nervensystems, der für Regeneration, Verarbeitung, Verdauung und Integration zuständig ist. Genau hier entsteht die Fähigkeit, Erfahrungen innerlich „abzulegen“ und Sinnzusammenhänge herzustellen.

Das erklärt auch, warum viele Menschen zum Jahresende ganz intuitiv beginnen, Bilanz zu ziehen.

Welche spirituellen Bedeutungen geben wir der dunklen Jahreszeit?

Auch aus spiritueller Sicht wird das Jahresende seit Jahrtausenden als Schwellenzeit verstanden. In vielen Kulturen symbolisiert die dunkle Jahreszeit nicht Stillstand, sondern „Reifung im Verborgenen“.

Die Wintersonnenwende um den 21. Dezember herum markiert den kürzesten Tag und die längste Nacht des Jahres. Danach kehrt das Licht langsam zurück. Dieses Wissen war schon lange vor modernen Kalendern zentral:

  • In vorchristlichen Traditionen galt diese Zeit als Phase der Innenschau.
  • In der christlichen Mystik wird sie als Zeit der Erwartung und Vorbereitung verstanden.
  • In naturspirituellen Ansätzen steht sie für das Loslassen des Alten, bevor Neues entstehen kann.

Dunkelheit wird hier nicht als Abwesenheit des Lichts gesehen, sondern als notwendiger Raum für Transformation.

Wie kann Rückschau zur Selbstfürsorge werden?

Bei dieser Form von Rückschau geht es um Integration. Um das innere Ordnen dessen, was erlebt wurde.

Vielleicht möchtest du dir hierfür einige der folgenden Fragen stellen:

  • Welche Momente dieses Jahres waren für mich besonders lebendig – auch wenn sie unscheinbar wirkten?
  • Was hat mich herausgefordert, und was habe ich dabei über mich gelernt?
  • Welche Gefühle haben mich begleitet, und was wollten sie mir zeigen?
  • Worauf kann ich mit Dankbarkeit zurückblicken – selbst dann, wenn es schmerzhaft war?
  • Was ist in diesem Jahr zu Ende gegangen, vielleicht leise und unbemerkt?

Es geht nicht darum, Antworten zu erzwingen. Manchmal reicht es, einer Frage innerlich Raum zu geben, z.B. bei einem Spaziergang oder beim Schreiben.

Warum fällt uns die „stade Zeit“ oft schwerer als gedacht?

Gerade der Dezember mit seinen kurzen hellen Stunden ist prädestiniert dafür, langsamer zu werden. Hier in Süddeutschland sprechen wir von der „staden Zeit“. Und doch erleben viele Menschen genau das Gegenteil: Termindruck, soziale Verpflichtungen, Jahresabschlüsse, Erwartungen.

Zwischen innerem Bedürfnis nach Ruhe und äußerem Tempo entsteht Spannung. Umso wertvoller kann es sein, bewusst kleine Inseln der Verlangsamung zu schaffen.

Für mich persönlich bedeutet das:

Zeit, um mit den Kindern zu basteln

Zeit, Klavier zu spielen – dieselben Weihnachtslieder, seit über 30 Jahren

Zeit, ein Konzert zu hören

Zeit, Ordnung zu schaffen und mich von Dingen zu trennen

Zeit, mich für die besondere Qualität dieser Wochen zu öffnen

Nicht als Pflicht, sondern als Einladung. 

Was verändert sich innerlich, wenn das Licht zurückkehrt?

Mit der Wintersonnenwende am 21. Dezember geschieht etwas Entscheidendes: Auch wenn es äußerlich noch lange dunkel bleibt, beginnt innerlich eine neue Bewegung. Die Tage werden wieder länger. Ein kaum sichtbarer, aber wirksamer Wendepunkt.

Psychologisch gesprochen öffnet sich hier wieder der Raum für Zukunftsbilder, Motivation und Ausrichtung. In vielen Coachingprozessen zeigt sich, dass Menschen ab Ende Dezember wieder leichter Zugang zu ihren Wünschen und Visionen finden – nicht als fixe Ziele, sondern als innere Ausrichtung.

Wie kann ein Vorausblick ohne Druck gelingen?

Der Jahresanfang muss kein Neuanfang im Sinne von „alles anders“ sein. Vielmehr darf er eine Fortsetzung mit neuer Qualität sein.

Vielleicht magst du dich fragen:

  • Wonach sehne ich mich im kommenden Jahr – jenseits von Vorsätzen und Optimierungswahn?
  • Welche Qualität soll mein neues Jahr prägen? (z. B. Ruhe, Klarheit, Mut, Verbundenheit)
  • Was möchte ich in mir stärken oder nähren?
  • Was darf wachsen und was bewusst klein bleiben?
  • Was wäre ein erster, stimmiger Schritt? (Eventuell auch etwas hervorheben, als „Aufgabe, Idee“?

Manche Antworten zeigen sich als Wort, andere als Gefühl oder Bild. Alles davon ist wertvoll.

Wie können wir Übergänge bewusster gestalten?

Das Jahresende ist kein Punkt, sondern ein Übergang. Und Übergänge verdienen Aufmerksamkeit. Neurobiologisch betrachtet brauchen wir Phasen des Innehaltens, um  Erlebtes emotional zu integrieren und Orientierung für zukünftige Schritte zu entwickeln (vgl. Hüther, 2016).

Wenn wir diese Phasen bewusst gestalten, stärken wir unsere Selbstwahrnehmung, unsere innere Orientierung und Resilienz.

Aktuelle Termine mit Daniela

Literaturverzeichnis:
Hüther, G. (2016). Mit Freude lernen – ein Leben lang. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Roenneberg, T. (2012). Die innere Uhr: Leben im richtigen Takt. München: btb Verlag.

Bildquellen:
Kerze: jrydertr/Pixabay
Zweig: RitaE/Pixabay

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